Ruprecht-Karls-Universität Heidelberg
Uni > ZAH > ITA > fspanier >

Aktive Galaktische Kerne

Aktive Galaxienkerne (AGN) sind eine der wichtigsten Quellklassen der Hochenergieastrophysik. Dabei bilden AGNs eine große Klasse von Quellen, von denen insbesondere Blazare relevant sind. AGNs sind zuerst einmal eine kompakte Region im Zentrum einer Galaxie, die über weite Teile des elektromagnetischen Spektrums eine signifikant erhöhte Luminosität aufweist. Diese kompakten Regionen haben drei konstituierende Elemente: ein supermassives schwarzes Loch, um das sich eine Akkretionsscheibe ausbildet, und eine dazu senkrechte verlaufende Plasmaemission, den Jet.

Leptonische Modelle

Erste Modellierungen von AGN mit leptonischen Modellen wurden mit dem SED-Code unternommen. Hier wird ein vorgegebenes Elektronenenergiespektrum in eine homogene Strahlungszone injiziert. Dort finden verschiedene Strahlungsprozesse (Synchrotronstrahlung, Synchrotronselbstabsorption, Inverse-Compton-Streuung) statt. Die Gleichungen für Elektronen- und Photonenverteilung werden dabei zeitabhängig gelöst. Effektiv wird also ein zeitabhängiges SSC-Modell implementiert. Dieser Code wurde z.B. für die Modellierung von 1ES1218+30.4 verwendet (Spectral modelling of 1 ES 1218+30.4 (Rüger, Spanier, and Mannheim 2010 Monthly Notices of the Royal Astronomical Society ))

Dieses Modell ermöglicht nicht nur die Modellierung statischer Spektren, sondern bis zu einem gewissen Grad auch die Modellierung der Variabilität. Während die Strahlungsprozesse - und die damit verbundene Entwicklung der Teilchenverteilung - selbstkonsistent dargestellt werden, kommt Variabiilität nur durch externe Faktoren (z.B. ein plötzliche Änderung des injizierten Teilchenspektrums) zu stande.


Modellierung von 1ES1218+30.4 mit dem SED-Code. Quelle: (Spectral modelling of 1 ES 1218+30.4 (Rüger, Spanier, and Mannheim 2010 Monthly Notices of the Royal Astronomical Society))

Um auch das Teilchenspektrum selbstkonsistent mitzumodellieren, wurde der COJONES-Code entwickelt. Er unterscheidet sich vom SED-Code im wesentlich dadurch, dass er statt einer einzelnen homogenen Strahlungszone eine Beschleunigungs- und eine Strahlungszone enthält. In der Beschleunigungszone wird im wesentlichen die kinetische Gleichung der Elektronen gelöst, wobei dort Fermi-I und -II Beschleunigung berücksichtigt werden. Damit können Beschleunigung und Strahlung simultan und selbstkonsistent simuliert werden. Ein typisches Szenario ist dabei die Modellierung von Variabilität durch ein Veränderung der Injektion von Primärteilchen. Da diese dann auch erst beschleunigt werden, ergibt sich ein anderes - und komplexeres - Muster als beim einfachen SED-Modell. Eine erste Anwendung ist dabei die Quelle 1ES 1218+30.4 (Modelling the variability of 1ES1218+30.4 (Weidinger and Spanier 2010 Astronomy and Astrophysics )) Diese Quelle wurde schon mit SED modelliert, hier ging es aber darum zu zeigen, dass neuere Beobachtungen mit VERITAS weiterhin mit einem leptonischen Modell vereinbar sind.

Durch die zeitabhängige Lösung der kinetischen Gleichungen ist es möglich, die Variabilität selbstkonsistent zu modellieren. Hier im Bild rechts sieht man letztlich die Responsefunction des System auf eine stufenförmigen Änderung der injizierten Dichte. Dabei ist zu erkennen, dass der Anstieg und der Abfall der Lichtkurve nicht symmetrisch zueinander sind (der Anstieg wird durch die Zeitskalen der Beschleunigung bestimmt, der Abfall durch Kühlzeitskalen). Weiterhin sind die Lichtkurven in den verschiedenen Bändern auch deutlich unterschiedlich zueinander.


Modellierung von 1ES1218+30.4 im niedrigen Flußzustand mit dem COJONES-Code. Quelle: Modelling the variability of 1ES1218+30.4 (Weidinger and Spanier 2010 Astronomy and Astrophysics )



Lichtkurve von 1ES1218+30.4 mit dem COJONES-Code. Quelle: Modelling the variability of 1ES1218+30.4 (Weidinger and Spanier 2010 Astronomy and Astrophysics )

Das COJONES-Modell wurde auch für deutlich komplexere Variabilitätsmuster angewendet, z.B. die extreme Kurzzeitvariabilität von PKS 2155-30.4 Bei dieser Quelle wurde ein komplexes Variabilitätsmuster im Minutenbereich gemessen. In Modelling the steady state spectral energy distribution of the BL-Lac Object PKS 2155-30.4 using a selfconsistent SSC model (Weidinger, Rüger, and Spanier 2010 Astrophysics and Space Sciences Transactions ) konnte dieses Muster nachgebildet werden (s. Abbildung rechts). Während das Beschleunigungs- und Strahlungsmodell in sich selbstkonsistent ist, ist die externe Änderung der Dichte nicht im Modell erklärbar. Ob tatsächlich eine Änderung der externen Dichte für die Variabiilität verantwortlich ist, ließe sich durch Multibandanalysen bestimmen, da das Verhalten in anderen Frequenzen charakteristische Änderungen aufweisen sollte.


Modellierung der extremen Kurzzeitvariabilität von PKS 2155 dem COJONES-Code. Quelle: Modelling the steady state spectral energy distribution of the BL-Lac Object PKS 2155-30.4 using a selfconsistent SSC model (Weidinger, Rüger, and Spanier 2010 Astrophysics and Space Sciences Transactions )

Hadronische Modelle

In vielen AGN werden neben Elektroen auch Protonen zu nichtthermischen Energien beschleunigt. Diese Protonen können dann auch zur Strahlung beitragen. Im einfachsten Fall ist der Beitrag der Protonen nur Synchrotronstrahlung der Protonen (die dafür notwendigen hohen Magnetfeldern sind meist vorhanden, da hohe Magnetfelder auch notwendig sind, um die Protonen in der Quelle zu halten). Durch Proton-Proton oder Proton-Photon Kollisionen können allerdings auch Sekundärteilchen entstehen, die zur Strahlung beitragen.

In den meisten AGN ist die Materiedichte viel zu gering, als das p-p-Prozesse eine Rolle spielen können. p-γ-Prozesse sind hingegen häufig relevant. Dabei entstehen neutrale Pionen π0, die wiederum unter Ausstrahlung von zwei Photonen zerfallen und geladene Pionen π±, die letztendlich zu Elektronen und Positronen zerfallen. Diese Teilchen können jederzeit Synchrotronstrahlung emittieren. Die finalen Elektronen und Positronen können dann wiederum durch Paarerzeugung und -vernichtung eine Rolle spielen.

Eine wichtige Rolle spielt dabei die Bestimmung der Streuquerschnitte. Eine mathematische einfach zu handhabende Methode wurde in Simplified Models for Photohadronic Interactions in Cosmic Accelerators (Hümmer, Rüger, Spanier, and Winter 2010 The Astrophysical Journal ) entwickelt. Der wichtigste Aspekt dabei ist, dass hier Doppelintegrale über Protonen- UND Photonenverteilung vermieden werden konnten.


Parametrisierung des photo-hadronischen Wirkungsquerschnitts mit dem Modell von Hümmer et al. Quelle: Simplified Models for Photohadronic Interactions in Cosmic Accelerators (Hümmer, Rüger, Spanier, and Winter 2010 The Astrophysical Journal )

Die oben erwähnte Parametrisierung der Streuquerschnitte wurde auch in COJONES verwendet, um hadronische Quellen zu modellieren. In das Modellsystem werden dazu zusätzlich auch Protonen injiziert, die genau wie die Elektronen beschleunigt werden (alleine die Beschleunigungszeit für die Protonen ist um den quadrierten Massenfaktor kleiner). Damit sind dann neben den leptonischen Prozesssen insbesondere Proton-Synchrotron, π0-Zerfall, Elektron/Positron-Erzeugung aus π± und Paarerzeugung/-vernichtung implementiert.

Eine typische Anwendung wird in A self-consistent and time-dependent hybrid blazar emission model. Properties and application (Weidinger and Spanier 2015 Astronomy and Astrophysics ) diskutiert (Bilder dazu rechts). Die spektrale Energieverteilung zeigt hier bei 1ES1011 leichte Unterschiede - im wesentlichen ist der Hochenergiebereich flacher als der Synchrotronpeak. Die Quelle 1ES1011 ist allerdings eine Quelle am Übergangsbereich von HBL und LBL Quellen. Für Flat Spectrum Radio Quasars wird erwartet, dass der Einfluß der Protonen stärker wird.

Ein deutlich anderes Bild ergibt sich bei der Betrachtung von Lichtkurven: In leptonischen Modellen unterscheiden sich die Lichtkurven in einzelnen Bändern nicht sehr deutlich, typischer ist die Form ähnlich es gibt aber meist eine zeitliche Verschiebung. Hier sieht man allerdings, dass sich stark unterschiedliche Formen und sogar sogenannte Orphan Flares ergeben können, also starke Flussanstiege in einem Energieband, die in anderen Bändern nicht auftreten. Dies lässt sich damit erklären, dass die Zeitskalen und Emissionsprozesse von Elektronen und Protonen entkoppeln. Während also bei der Injektion von Teilchen die Elektronen schnell beschleunigt werden und ebenso schnell strahlen, brauchen die Protonen sehr lange, um relevante Energien zu erreichen. Da hier in diesem speziellen Fall die Elektronen und Positronen aus p-γ-Stösse relevant sind, kaskadieren diese auch von hohen Energien runter zu niedrigen Energien.

Aus der reinen Betrachtung der spektralen Energieverteilung ist es meist nicht direkt möglich, leptonische und hadronische Strahlungsprozesse zu unterscheiden. Die Lichtkurven hingegen sprechen eine deutlichere Sprache.


Modellierung von 1ES1011 mit dem hadronischen COJONES-Code. Quelle: A self-consistent and time-dependent hybrid blazar emission model. Properties and application (Weidinger and Spanier 2015 Astronomy and Astrophysics )



Lichtkurve von 1ES1011 mit dem hadronischen COJONES-Code. Quelle: A self-consistent and time-dependent hybrid blazar emission model. Properties and application (Weidinger and Spanier 2015 Astronomy and Astrophysics )

Aus dem weiter unten beschriebenen UNICORN Code wurde UNICORN-0D als Nachfolger von COJONES entwickelt. Neben zahlreichen technischen Neuerungen (CUDA-Support, MPI-Parallelisierung, HDF5-Output) wurden unter anderem physikalische Prozesse wie die Synchrotronstrahlung instabiler Teilchen integriert.

Durch die hohe Geschwindigkeit von UNICORN-0D war es in AGN neutrino flux estimates for a realistic hybrid model (Richter und Spanier 2018, Astroparticle Physics) möglich, eine Reihenuntersuchung durchzuführen: Für einen Satz von Modellquellen wurde untersucht, wie viele Neutrinos man aus einer solchen Quelle mit IceCUBE detektieren könnte. Dabei wurden das Magnetfeld und die Injektionsraten von Elektronen und Protonen über einen weiten Bereich variiert. Es zeigt sich dabei, dass ein einfacher Zusammenhang von Gammabeobachtugnen und Neutrinodetektion nicht möglich ist. Die Abschätzung "ein Photon = ein Neutrino" ist also nicht haltbar.


Simulierte Detektionsraten von IceCUBE Quelle: AGN neutrino flux estimates for a realistic hybrid model (Richter und Spanier 2018, Astroparticle Physics)

Ortsaufgelöste Modelle

Eine Weiterentwicklung der AGN-Modellierung ist die ortsaufgelöste Modellierung mit dem UNICORN-Code: Hier wird in Jetrichtung das Simulationsgebiet aufgeteilt. Die Teilchenbeschleunigung wird über Teilchenstreuung an einem künstlichen Fluidschock dargestellt.

Eine Anwendung ist dabei die langwellige Radioemission von AGN. Bisherige AGN-Modelle waren nicht in der Lage, die Daten bei sehr niedrigen Frequenzen zu treffen. Das Paradigma dazu war bisher "Die Strahlung wird von ausgekühlten Elektronen erzeugt". Mit UNICORN bestand die Möglichkeit, dieses Paradigma zu testen. In A Numerical Model of Parsec-scale SSC Morphologies and Their Radio Emission (Richter and Spanier 2016 The Astrophysical Journal ) wird gezeigt, dass in einem zylindrischen Jet die Elektronenkühlung nicht effizient genug wäre. Tatsächlich lässt sich aus den Messdaten zeigen, dass die korrekten Radiodaten nur unter Annahme eines logarithmischen Jetprofils getroffen werden. Im Bild rechts ist die für Markarian 501 gezeigt.


SED von Mrk 501 für verschiedene Jetformen. Es zeigt sich, dass nur eine bestimme logarithmische Form die Radiodaten korrekt wiedergibt. Quelle: A Numerical Model of Parsec-scale SSC Morphologies and Their Radio Emission (Richter and Spanier 2016 The Astrophysical Journal )

Mit ortsaufgelösten Modellen lässt sich auch ein anderes Problem angehen: Für Variabilitätsszenarien wird meist angenommen, dass sich irgendeine Größe ändert. Woher diese Änderung kommt, wird aber nicht spezifiziert. Mit UNICORN ist es nun mögich ein bestimmtes physikalisches Modell zu testen: Multiple Schocks.

In Multi-band implications of external-IC flares (Richter and Spanier 2015 Astroparticle Physics ) wurde verglichen, wie sich Lichtkurven für verschiedene Szenarien unterscheiden. Tatsächlich wurde dabei für einen bestimmten Satz Beobachtungen gezeigt, dass nur multiple Schocks die Lichtkurven erklären können.


Lichtkurven für verschiedene Variabilitätsszenarien inklusive Messdaten Quelle: Multi-band implications of external-IC flares (Richter and Spanier 2015 Astroparticle Physics )

Verantwortlich: Felix Spanier, letzte Änderung am 11.11.2020 19:23 CET
zum Seitenanfang